2014

Heimathafen Neukölln: Taiwanesischer Liederabend



Mi 23.07.2014 Bühne    RBB-Kulturradio

Heimathafen Neukölln: Taiwanesischer Liederabend

Ein Abend voller Überraschungen, kurzweilig und unterhaltsam.
Bewertung: 
Das ist mal was richtig Originelles: ein taiwanesischer Liederabend. Und gleich die Überraschung: Wer da Folklore erwartete, behielt nur teilweise Recht. Das Wenigste waren echte taiwanesische Volkslieder. Und überhaupt ist wohl die Geschichte des taiwanesischen Liedes eher die des 20. Jahrhunderts – nicht zuletzt beeinflusst durch politische Komponenten.

Anfang des 20. Jahrhunderts war es die japanische Kolonialherrschaft, die eine junge Liedermacherszene hervorbrachte. Solche Szenen sind oft sehr politisch aufgestellt, und so war es auch in Taiwan: Junge Musiker und Autoren haben sich ganz bewusst einer anti-japanischen Bewegung angeschlossen und auf ihre einheimische Kultur gesetzt. Eine Blütezeit taiwanesischer Lieder. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam Taiwan unter chinesische Herrschaft – auch das hat die Kultur des Landes beeinflusst. Und nicht zuletzt drangen auch westliche Einflüsse von Popmusik dorthin.

Bemerkenswerte stilistische Bandbreite

So unterschiedlich die Einflüsse, so heterogen war auch die Auswahl der Lieder. Einige Komponisten haben sich sehr eng an taiwanesischen Volksliedern orientiert. Dann wieder spürte man – gerade bei jüngeren Komponisten – einen hohen Einfluss europäischer Kultur. Kein Wunder, wenn man liest, dass einer in München studiert hat oder ein anderer in Stuttgart lebt – da klingt es bisweilen nach gemäßigter europäischer Moderne. Aber auch die Popularmusik hat Einzug gehalten. Da gab es Lieder, die so klangen, als ob Andrew Lloyd-Webber und Elton John zusammen Songs mit ostasiatischen Anklängen geschrieben hätten: eine Mischung aus modernem Musical und Pop-Balladen. Kurz: eine bemerkenswerte stilistische Bandbreite und alles andere als ein Folkloreabend.

Hervorragend interpretiert

Als Kontrast gab es auch einige deutsche romantische Lieder, allerdings war der Eindruck dann gar nicht mehr so stilistisch gegensätzlich. Das allerdings lag eher an den jungen Sängerinnen und Sängern selbst. Zwar kommen alle gebürtig aus Taiwan, haben aber in Deutschland studiert, in Berlin, Weimar oder Leipzig. Und so überraschte es kaum, dass etwa die Mezzosopranistin I-Chiao Shih vier romantische Kunstlieder von Brahms, Clara Schumann und Liszt hervorragend interpretierte: mit der erforderlichen Grundtönigkeit, romantischer Innigkeit und Intensität und den paar Prozent Pathos, die es dafür braucht. Fast ist sie mit bisweilen dämonischer Ernsthaftigkeit übers Ziel hinausgeschossen. In einem kurzen Opernduett aus Gaetano Donizettis Don Pasquale haben sich die beiden Solisten wunderbar freigesungen, und als Zugabe konnten sie sich sogar an den Schlager Und die Musi spielt dazu des österreichischen Schlager-, Film- und Operettenkomponisten Fred Raymond (aus der Operette Saison in Salzburg bzw.Salzburger Nockerln) wagen. Alle sind sie großartig ausgebildete, international aufgestellte Sänger.

Die Pianistin – eine Entdeckung

Der Abend hat aber nur funktioniert, weil die Pianistin auf zurückhaltende, aber ungemein präsente Weise alles zusammengehalten hat. Han-Wen Jennifer Yu ist eine Entdeckung, eine hochbegabte Liedbegleiterin – eine sichere Stütze, sei es bei einfachen Begleitfiguren, aber auch bei den Kunstliedern. Brahms' Von ewiger Liebe hat sie mit wunderbar dunklem Fundament gestützt, aber auch die beiden Liszt-Lieder mit samtpfotiger Wärme. Jedem Liedersänger, der noch auf der Suche nach einem kompetenten Begleiter ist, kann man sie nur wärmstens ans Herz legen. Insgesamt: ein Abend voller Überraschungen, kurzweilig und unterhaltsam.
Andreas Göbel, kulturradio
Chueh-Yu Lai, Sopran
I-Chiao Shih, Mezzosopran
Solomon Lin, Tenor
Fang-Hao Chao, Bariton
Han-Wen Jennifer Yu, Klavier
Benjamin Beck, Viola
Konzert vom 22. Juli 2014

www.heimathafen-neukoelln.de